Freitag, 16. Juli 2021

Kradolf. Am letzten Freitag lud der Kulturverein Steinacker zum Erzähl-abend ins Kirchenzentrum ein. Zu Gast war der Autor, Geschichten-erzähler und Schauspieler Ferruccio Cainero. 

Ferruccio Cainero erzählt seine Geschichten mit südländischem Temperament. Seine Hände zurren durch die Luft, unterstreichen dramatische Textpassagen, sein Haupt senkt sich sorgenvoll in traurigen Momenten, Augen und Mund staunen weit offen ob der Unvernunft der Menschen. Und von Letzterem strotzt sein Programm «Kolumbus und die Schmetterlinge» nur so. 

Gegen Westen nach Indien

Ja, es ist Bewunderung in der Stimme des Erzählers und Autors, wenn er auf Deutsch mit seinem italienischen Akzent vom Seefahrer Christoph Kolumbus berichtet, der vor fünfhundert Jahren mit seiner Mannschaft auf drei Schiffen gegen Westen lossegelte und weder Sturm noch Flauten fürchtete, um nach Indien zu gelangen, im festen Glauben daran, dass die Erde rund sei. «Wie haben sie navigiert?», fragt Cainero. Dann erzählt er, wie er als Junge eine Wiese entdeckte, auf der sich eine Vielfalt von Schmetterlingen tummelte. «Ich habe sie eingefangen, hatte ihren Staub an meinen Fingern und musste feststellen: Tote Schmetterlinge fliegen schlecht.» Dennoch sei er weiterhin auf Schmetterlingsjagd gegangen, doch am dritten Tag flogen die Schmetterlinge weit weg von ihm. «Sie haben mich erkannt. Es ist eine universelle Intelligenz, die sie leitet, gleich wie bei den Seefahrern, die voller Vertrauen ins Ungewisse aufbrachen. Und diese Intelligenz ist in unserer Zeit verloren gegangen.» Aber Ferruccio Cainero verharrt nur kurz in diesem Bedauern, denn die Entdeckung Amerikas nimmt gerade so richtig Fahrt auf. 

Königin und König 

Der Erzähler rattert einen fiktiven, witzigen Dialog zwischen Königin Isabella von Spanien und ihrem Gatten Ferdinand herunter. Der spanische Königshof finanzierte die Expedition mit klarem Ziel: Kolumbus bringt den christlichen Glauben nach «Indien» und kommt zurück, die Schiffe voll beladen mit Gold, Silber und Edelsteinen. Im vermeintlichen Indien angekommen, treffen die Seefahrer auf freundliche Menschen und ein irdisches Paradies – und Kolumbus ist enttäuscht. Er stammt aus Genua und diesem Volk sind zwei Sachen heilig: Handel und Geiz. Womit soll er in diesem Land handeln, wenn es im Paradies an Bedürfnissen fehlt? Also werden Bedürfnisse geschaffen und das Unheil nimmt seinen Lauf. Auf dem alten Kontinent freut man sich über Unmengen von Edelmetall und neuen Produkten wie Tomaten und Tabak, in den entdeckten Gebieten metzeln die neuen Herren die Einheimischen nieder und rotten sie aus. In Ferruccio Caineros Stimme schwingt auch kein letzter Rest an Bewunderung mehr mit, als er sein Fazit über den Entdecker zieht: «Am Ende streitet Kolumbus mit allen über Gold und über Gott. Seine Geschichte wird uns als Abenteuer erzählt, aber es ist eine schäbige Geschichte.» Und Cainero wäre nicht Cainero, wenn es ihm nicht gelänge, auch von diesem grausamen Kapitel der Geschichte noch einen Bogen zu seinen Schmetterlingen zu schlagen. 

Hannelore Bruderer

Gewinner des «Salzburger Stier»

Ferruccio Cainero kam 1953 in Udine zur Welt. Heute lebt der italienische Autor, Geschichtenerzähler, Schauspieler und Regisseur in der Schweiz. Von 1978 bis 1992 war er verheiratet mit Gardi Hutter und als Co-Autor mitverantwortlich für deren wichtigste Stücke. Ferruccio Cainero wurde mehrfach ausgezeichnet. Im Jahr 2002 erhielt er den Schweizer Kleinkunstpreis, ein Jahr später gewann er den «Salzburger Stier», einen der bedeutendsten Kleinkunstpreise im deutschsprachigen Raum. In den Jahren 2006 und 2008 kamen auch noch der Internationale Erzählkunstpreis «The Golden Ear of Graz» sowie der deutsche Kleinkunstpreis «Wilhelmshavener Knurrhahn» hinzu. (man)