Freitag, 14. Februar 2025

Erlen. In der Aachtalhalle in Erlen fand am Samstag die 17. Behördenfrauentagung statt. 80 Teilnehmerinnen nutzten den Tag für Weiterbildung und Vernetzung und hörten unter anderem einen Vortrag zum Thema «Herausforderung und Chancen der Individualisierung». 

Seit 2007 organisieren Die Mitte Frauen Thurgau eine parteiübergreifende Tagung für Frauen aus Politik, Bildung sowie Ämtern in Städten und Gemeinden.
Madlen Neubauer, Mitglied der Parteileitung Die Mitte Thurgau, initiierte die Behördenfrauentagung unter der Prämisse: zusammenkommen, austauschen, weiterbilden. Noch heute ist sie im Organisationsteam, das sich mit Marlise Bänziger, Barbara Langenegger, Andrea Zehnder und Daniela Müller – allesamt Mitte-Frauen – vergrössert hat.
Wie jedes Jahr startet die Tagung mit einem Einführungsreferat, dieses Mal von Christina Aus der Au. Die Präsidentin des Evangelischen Kirchenrates des Kantons Thurgau beschäftigt sich darin mit «Die Individualisierung, Anonymisierung und der zunehmende Egoismus in unserer Gesellschaft. Grenzen und Auswirkungen». Mit einem kurzen Abstecher in die Philosophie zeichnet sie den Entstehungsweg der Individualisierung auf, die nicht erst mit der Industrialisierung stattfand. Schon Sokrates in der Antike, Martin Luther und später Immanuel Kant lehrten die Menschen, selbstständig zu denken oder sich nicht von Autoritäten abhängig zu machen.
Inzwischen spreche die Soziologie vom Hyperindividualismus. «Wir sind nicht nur Individuum, sondern wir alle sind einzigartig», erklärt Christina Aus der Au den Begriff. Dies führe letztlich auch zur Pflicht, sich als einzigartiges Wesen darzustellen. Ständige Selbstoptimierung und die Frage: «Habe ich wirklich das Beste aus meinem Leben gemacht?» setzten uns heute unter Druck. Der Verlust gemeinsamer Werte und die fehlende Bereitschaft, Verantwortung für andere zu übernehmen, wenn alle schon mit sich selbst genug zu tun haben, ist ein Phänomen, das auch die anwesenden Behördenfrauen bei ihrer Arbeit zu spüren bekommen. Zum Beispiel an Schulen, wo Kinder und Jugendliche durch zunehmende Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheiten überfordert sind.
Auch der Staat solle sich möglichst wenig einmischen, «aber wo ich ihn brauche, soll er da sein», gibt Christina Aus der Au zu bedenken. Als Optimistin möchte sie aber auch die Chancen dieser gesellschaftlichen Entwicklung, die ohnehin nicht mehr rückgängig zu machen sei, benennen: In der Hyperindividualisierung liege das Potenzial von Toleranz, Vielfalt und Kreativität: «Ich kann und darf neue Wege gehen.» Die Digitalisierung, der Umgang mit Social Media und die Bildung von sogenannten «Bubbles» führten zum Phänomen der «Neo-Tribes». Diese Gemeinschaften beschreibt Aus der Au als zeitlich begrenzte, dynamische Gesinnungsgemeinschaften, die auf einem gleichen Interesse beruhten. Die Behördenfrauentagung könne als solch eine Form angesehen werden, kämen hier doch alljährlich Frauen zusammen, welche allesamt Ämter bekleiden oder sich darauf bewerben und Austausch und Weiterbildung suchen.

Statt Mauern bauen Beziehung fördern
In der Diskussion führt der Umgang mit Individualisierung am Arbeitsplatz zu regem Austausch, Stichwort: neue Arbeitsformen. Auch der Gegenreflex auf die neu gewonnenen Freiheiten und Selbstbestimmung, eine Sehnsucht nach Überregulierung, wird beobachtet. Mit Menschen, die engere Lebenskonzepte suchten, müsste sich die Gesellschaft befassen und mit ihnen im Gespräch bleiben, damit es nicht zur Spaltung und Radikalisierung kommt, so die Referentin. Nicht Mauern bauen, sondern die Nähe auch zu den Andersdenkenden suchen rät Christina Aus der Au den Behördenfrauen.
Im Anschluss an die Einführung ging es darum, in Workshops zu Themen wie «Brennen ohne zu Verbrennen», «Mut zur Lücke» oder «Das Veto-Prinzip» neue Ansätze kennenzulernen und Wissen zu vertiefen.
Madlen Neubauer und ihr Team möchten den Teilnehmerinnen mit dem Input des Tages Mut machen, dran zu bleiben: «Bewirtschaftet eure Ressourcen gut, damit ihr eure Energie nicht verliert.»

Judith Schuck