Freitag, 16. Juli 2021

Sulgen. Die Lehrabgänger, aber auch die Angestellten des Sulger Druck- und Grafikunternehmens medienwerkstatt ag, fiebern jeweils dem Gautschen entgegen. Die Ursprünge des Rituals, mit welchem die Lernenden nach bestandener Abschlussprüfung von ihren Lehrlingssünden freigesprochen werden, reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Wann die Zeremonie stattfindet, ist ein streng gehütetes Geheimnis. Nichts darf durchsickern, damit die Lernenden beim Ruf «Packt an» so überrascht sind, dass ihnen keine Zeit zum Fliehen bleibt. 

Überrascht waren die Polygrafin Marlene Lüber und der Drucktechnologe Marcos Briceno zwar, aber flink auch. Doch weit kamen beide nicht. Denn ihre Berufskollegen hatten sich gut vorbereitet und waren in der Überzahl, da half auch die heftige Gegenwehr der beiden Lehrabgänger nicht. An Händen und Beinen mit Klebeband und Kabelbinder gefesselt, fanden sie sich in kurzer Zeit zusammen auf einem Karren wieder. 

Erst mit Puder bestreut, dann mit kaltem Wasser übergossen, setzte sich der Tross von der Steinackerstrasse in Richtung Seniorenzentrum in Bewegung, wo der Gautschmeister Daniel Brüllmann beim Brunnen wartete. Von grossen Schriftrollen las er die althergebrachten Freisprechworte vor. Erst auf einen nassen Schwamm gesetzt und dann in den Brunnen getaucht, waren Marlene Lüber und Marcos Briceno bereit, sich von ihren Fesseln zu befreien. Sie schnappten sich die nassen Schwämme und jagten ihren Peinigern zum Vergnügen der Zuschauenden quer über den Platz hinterher. Zum Schluss waren es nicht nur die Gäutschlinge, die nass wurden.

(hab)  

Gautschbrief

In den Wochen nach der Gautschete laden die Gäutschlinge ihre Berufskolleginnen und -kollegen zu einem Gautschfest ein. Dann erst erhalten sie ihren Gautschbrief. Wird an einer neuen Stelle ein Gautschbrief verlangt und kann ihn der oder die Stellenantretende nicht vorlegen, droht ihm oder ihr eine Wiederholung der Gautschete. (hab)