Freitag, 21. März 2025

Sulgen. Im Café Dorfplatz in Sulgen wurde unter dem Titel «Werkstatt der Sinne» zum Abtauchen in alte Zeiten eingeladen. Joel Reisinger aus Lütisburg war mit Walzenphonograph, Grammophon und einer schönen Auswahl an Schellackplatten zu Gast. Mit im Gepäck viel Wissenswertes über die Entwicklung der Tonträger und Abspielgeräte.

Ein Trichtergrammophon zieht im Café Dorfplatz die Blicke auf sich und weckt nostalgische Gefühle. Ja, man kennt sie noch von früher oder zumindest aus alten Filmen. Das Knistern, wenn die Nadel den Rillen auf der Scheibe folgt, hat man gleich mit im Ohr, ebenso einige Musikstücke. Mitgebracht hat das Grammophon aus den 1910er Jahren Joel Reisinger aus Lütisburg. Er will an diesem Abend als Gastreferent den Besucherinnen und Besuchern viel Wissenswertes über Schellackplatten erzählen und sie auch gleich spüren lassen, wie sich das anhört.

Zwei Minuten Musik

Gleich neben dem Grammophon steht ein weiteres ganz spezielles Gerät. Es ist ein Edison Walzenphonograph aus dem Jahr 1898 mit Federantrieb. Dabei stehen die Wachsrollen, von denen damals die erste Musik abgespielt werden konnte. «Meistens war es Marschmusik», erklärt Joel Reisinger. Dies nicht nur, weil es damals die Musik war, die man halt hörte. «Aufgenommen wurde die Musik über einen Trichter», erklärt Reisinger. Das habe nur mit lauten Klängen funktioniert. «Gitarrenmusik beispielsweise hätte man nicht aufnehmen können, weil das zu leise gewesen wäre.» Die Laufzeit einer Walze betrug etwa zwei Minuten. Mehr hatte nicht Platz. Joel Reisinger legt eine Walze ein. Nur in geringer Lautstärke ist die Musik zu hören, Knistern inklusive.

Nadel bestimmt Lautstärke

Die Walzen wurden dann später von den ersten Schellackplatten abgelöst. «Die Idee war es, die Walze zusammenzudrücken und die Rillen auf einer Scheibe anzubringen», erklärt Reisinger. Die Nadel, die auf der Platte auflag, musste nach jedem Abspielen gewechselt werden. Um die Platte nicht zu beschädigen, mussten die Nadeln weich sein. Doch die Nadelstärke hatte auch mit der Lautstärke zu tun, wie Joel Reisinger gleich beweist. Er legt eine Aufnahme von Enrico Caruso auf den Plattenteller des Grammophons. Nur leise ist die Musik zu hören. Dann wird die Nadel gewechselt und ein viel lauterer Gesang erklingt. «Wollte man abends Musik hören, nutzte man Kaktus oder Bambusnadeln, für ein lautes Abspielen wählte man einen Metallstift», erklärt der Referent.

Musik abzuspielen war ein teures Vergnügen, das den einfacheren Leuten vorenthalten blieb. So kostete ein Grammophon damals rund 2000 Franken oder mehr. Meist wurde klassische Musik gehört. Auf jeder Schellackplatte war nur ein Stück eingeprägt. Eine 30 Zentimeter Scheibe lief zwischen vier und fünf Minuten. Geprägt wurden die Platten nur auf einer Seite, obwohl es technisch durchaus machbar gewesen wäre, auch auf der Rückseite ein Musikstück einzuprägen. «Seit 1904 wurden die ersten doppelseitig geprägten Platten rausgegeben, durchgesetzt hat es sich aber erst nach 1908. Wahrscheinlich auch, weil die Käufer sich dachten, dass sie ja nur das eine Stück kaufen wollten.»

Bis 1925 habe man alles mechanisch in den Trichter gesungen, dann erst sei das Mikrofon auf den Markt gekommen. In den 30er Jahren hätten dann die Radios mit Plattenspielern die Stuben der Leute erobert. Joel Reisinger hat auch hier ein entsprechendes Stück mitgebracht: ein englisches elektrisches Grammophon von 1933. Zudem steht ein Gerät von 1954 im Raum. Auf diesem legt Reisinger einige Platten auf. Schnell lässt die Musik aus den verschiedensten Genres die Füße der Besucherinnen und Besucher im Takt mitwippen.

Kenner im Publikum

Mit dem Landi-Lied, welches für die Landesausstellung von 1939 in Zürich geschrieben wurde, schließt der offizielle Teil des Vortrages. Damit ist der Abend aber noch längst nicht beendet. Jetzt nutzen die Gäste die Gelegenheit, die Geräte und Platten aus der Nähe zu betrachten und sich mit dem Referenten persönlich auszutauschen. Schnell wird klar, dass sich einige Kenner unter den Besuchern befinden. Zu ihnen gehört auch Bildhauer Andreas Hungerbühler aus Bürglen, der seit 40 Jahren Schellackplatten sammelt und auch entsprechende Abspielgeräte besitzt. Den Reiz der Schellackplatte macht für ihn aus, dass die Musik unverfälscht und ehrlich ist. «1:1 – so, wie sie eben aufgenommen wurde», sagt er. Rund 5000 Schellackplatten nennt der 85-jährige Hubertus Markhoff aus Dozwil sein Eigen. Die meisten davon aus dem Bereich Jazz. Seine älteste Platte stammt aus dem Jahr 1927, wie er verrät. Er sei ein leidenschaftlicher Sammler. Und: «Ein Sammler ist immer auf der Jagd.»

Als Sammler will sich der 28-jährige Referent Joel Reisinger eigentlich nicht bezeichnen. Vielmehr als Benutzer. «Ich finde es einfach interessant.» Schon ganz früh hat es begonnen, als er als Kind das Radio seiner Tante wahnsinnig spannend fand und gerne an den Knöpfen rumdrückte. Joel Reisinger hat denn auch nicht nur Schellackplatten und Abspielgeräte in seinem Fundus. Alte Fernseher gehören als Hauptsache zu seiner Sammlung, die sich aber «im Rahmen» hält, wie er mit einem Schmunzeln beteuert. Für den jungen Mann, der auch eine Schwäche für Oldtimer hat, steht an erster Stelle, dass die Geräte funktionieren. Dafür sorgt er meistens selber. «Oder man kennt jemanden, der weiß, was zu machen ist.» Es sei für ihn wie mit den Oldtimern. «Man muss sie fahren können, nicht nur anschauen.»

Öffentliche Anlässe: Über das Jahr verteilt finden im Café Dorfplatz in Sulgen kulturelle Anlässe für Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenzentrums als auch für alle interessierten Gästen statt. Organisiert werden sie von «Ideen hoch zwei», der Event Agentur von Florian Rexer und Andreas Müller. Die Eventreihe findet in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal statt. www.seniorenzentrum-sulgen.ch

(mm)